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Kennt Ihr den Club der Roten Bänder? Das ist eine VOX-Serie über Kinder im Krankenhaus. Ich habe nie eine Folge, dafür aber eine Dokumentation über den Drehbuchautor Albert Espinosa gesehen, der mit 13 an Knochenkrebs erkrankt ist und ein Bein verloren hat. Dieser Mann und seine Einstellung zum Leben haben mich so fasziniert, dass ich mir sein Buch Glücksgeheimnisse aus der Gelben Welt gekauft habe, das als Vorlage für die Serie gedient hat.

In diesem Buch schreibt Albert über Lektionen, die ihn der Krebs gelehrt hat. Und die erste und für mich eindrücklichste Lektion lautet: „Verluste sind positiv“. Als Albert’s Bein amputiert werden sollte, veranstaltete er eine Abschiedsparty für das Bein und lud Leute ein, die etwas mit dem Bein zu tun hatten – etwa einen Fußballtorwart, dem er mal ein Tor geschossen oder ein Mädchen, mit dem er mal unter dem Tisch gefüßelt hatte. Auf dieser Party erzählten alle Anekdoten über Alberts Bein und lachten viel, er tanzte das letzte Mal auf zwei Beinen und alle verabschiedeten sich von dem Bein – auch er selbst.

Und heute sieht Albert die Sache so: Er hat nicht etwa ein Bein verloren, sondern einen Stumpf gewonnen und tolle Erinnerungen an eine super Abschiedsparty oder an seine ersten Schritte (mit der Prothese).

Es hat etwas gedauert, bis ich diesen Gedankengang nachvollziehen konnte. Aber dann habe ich mich daran erinnert, dass doch jede Medaille zwei Seiten hat, und dadurch alles Traurige oder vermeintlich „Böse“, das einem widerfährt, auch eine schöne, positive Seite hat.

Ich glaube, das hat jeder schon einmal erlebt, dass man – wie in Alberts Fall – durch einen Verlust etwas gewinnt: Dass man wegen einer Erkrankung eine strenge Diät halten muss und dadurch seine Leidenschaft fürs Kochen entdeckt. Dass man seinen Partner verliert und sein eigenes Leben wieder zurückgewinnt. Oder sich das ganze Leben auf den Kopf stellt und man erst dadurch erkennt, was wirklich wichtig ist.

Ich finde, diese Erkenntnis ist ziemlich beruhigend. Und vor allem, wenn ich in einer Situation stecke, die so gar nicht schön ist und ich die andere Seite der Medaille noch nicht sehen kann, macht die Gewissheit, dass sie da ist, ziemlich leicht ums Herz und auch ein wenig neugierig auf das Schöne, dass da kommen wird.

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